Eine Wandlung?

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Ein Master hat hart und unbarmherzig zu sein, keine Gefühle zu zeigen und darf nicht einmal den Anflug von Rücksicht an den Tag legen. Das ist die Meinung fast aller Subs in meiner BDSM-Laufbahn. Doch seit mehreren Monaten fällt mir eine langsame Wandlung sowohl bei Subs als auch bei Tops auf, um nicht gar zu sagen, in der gesamten homosexuellen BDSM-Szene.

Ein Rückblick

Von 1981 bis 1988 machte ich meine ersten Erfahrungen mit BDSM und hatte über diese 7 Jahre einen einzigen Master. Einige Jahre davon habe ich bei ihm als 24/7 Sklave gelebt. Wir hatten ein Verhältnis auf intimer Basis, keine Geheimnisse vor einander und lebten eigentlich wie „allerbeste Freunde“. Das Einzige, was unser Leben gegenüber Anderen unterschied war eine klare Hierarchie. Er hatte das Sagen und ich hatte zu gehorchen. Wir tauschten Probleme aus und versuchten, sie gemeinsam zu lösen. Wir haben viel gemeinsam unternommen und erledigten auch den Haushalt gemeinsam. So blieb uns mehr Zeit für intime Stunden, die wir ausgiebig nutzten. Natürlich war es auch so, dass ich als sein Sklave bestraft wurde, wenn es sein musste. Doch dennoch war er nach jeder Bestrafung recht fürsorglich, versorgte meine Wunden und redete mir Mut zu. Er hat dabei nie ein Wort des Vorwurfes erklingen nlassen. ich fühlte mich bei ihm gut aufgehoben und dachte, dass dieses BDSM wohl normal ist. Doch da sollte ich mich geirrt haben.

1988 haben wir uns aus Gründen, die an dieser Stelle nichts zu suchen haben, getrennt. Nach einer 2-jährigen Pause vom BDSM ging ich dann 1990, ein Jahr nach Mauerfall, auf die Suche nach einem neuen Master. In meiner Naivität dachte ich, dass ich schnell fündig werden würde. Doch auch hier sollte ich mich irren. Was ich in zwei Jahren der Suche erlebt habe, lässt sich kurz mit einigen Stichworten umschreiben:

  • Arroganz
  • fordernd
  • verbale Aggressivität
  • Freigiebig mit Beleidigungen

Das war irgendwie nicht das, was ich suchte. Was ich suchte, war ein Master, der charakterlich meinem ehemaligen Master wenigstens halbwegs entsprach. Über 30 Jahre wurde ich nicht fündig.
So beschloss ich, meine Erfahrungen und Kenntnisse, die ich durch meinen Master erhielt, selbst als Top anzuwenden und suchte mir einen Sklaven. Doch auch diese Suche war nicht von Erfolg gekrönt. Die Bewerber hatten für meinen Geschmack die merkwürdigsten Vorstellungen einer Versklavung:

  • Sie wollen keinerlei Rücksicht
  • Sie wollen so oft wie möglich weggesperrt werden
  • Sie wollen vom Master täglich benutzt werden
  • Etwas für den Master tun, kommt nicht in Frage
  • Tägliche körperliche Mißhandlungen müssen sein
  • Sklaven wollen von der Bildfläche verschwinden

Diese Liste könnte ich noch weiter ausführen.
Das ist aber alles nicht das, was ich suchte. Aber was suchte ich eigentlich? Damals bildete ich mir ein, einen Sklaven zu suchen, der wie ich ist. Ich begriff einfach nicht, dass jeder Mensch auf seine Art einmalig ist. Dieser Lernprozess dauerte fast 25 Jahre.

BDSM heute

Während BDSM in den 90er Jahren bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts von Rücksichtslosigkeit, Gewalt, Zwang, Unterdrückung usw. geprägt war, scheint sich nun langsam eine Wandlung zu vollziehen. Statt körperliche Gewalt steht nun die mentale Abhängigkeit im Fokus. Viele reden auch nicht mehr davon, Sklave sein zu wollen, sondern eher von einer Partnerschaft auf BDSM-Ebene. Dabei gibt es einen, der das Sagen hat und einen, der zu gehorchen hat. Das kam mir doch irgendwie bekannt vor?
Aber woher kommt dieser Wandel?
Mir ist aufgefallen, dass die Sklavenbewerber über 40 Jahre nach wie vor auf die körperliche Abhängigkeit bestehen, während die jüngeren von 18 bis 40 eher die mentale Abhängigkeit suchen. Je jünger, um so intensiver die Suche nach mentaler Abhängigkeit und diese jungen Männer haben genaue Vorstellungen, wie das erreicht werden kann. Nicht selten höre ich bei Konversationen mit Männern unter 30 Begriffe wie

  • Vater- / Opafigur
  • Adoption
  • Abhängigkeit
  • Entmündigung
  • Sex mit Vater- bzw. Opafigur
  • völlige Nahme eines selbstbestimmten Lebens

Je öfter ich mit Männern unter 40 chatte, um so mehr wird mir bewusst, dass sie eigentlich nichts Außergewöhnliches wollen. Ich selbst habe so ein Leben ja vor mehr als 40 Jahren selbst gelebt und es als völlig normal empfunden.
Alle diese jungen Männer sind ab Mitte der 90er Jahre geboren. Das war die Zeit, in der die Eltern begannen, ihre Kinder antiauthoritär zu erziehen. Die Kinder hatten mehr Freiheiten, durften sich Dinge leisten, für die die 60er und 70er Generation übelst bestraft wurde und sie mussten noch nicht einmal arbeiten gehen und leben im Hotel Mama. Diese Jungs sind heute unter 30 Jahre alt und ihnen liegt die Welt zu Füßen. Doch sie wissen nichts damit anzufangen. Viele studieren Mathematik oder BWL, seltener das Lehramt und wissen nach dem Studium nicht, wie es weiter gehen kann. Manche beginnen eine Ausbildung im Pflegebereich und wenige davon beenden die Ausbildung. Sie sind mit sich selbst überfordert. Was liegt da näher, als sich jemanden zu suchen, der Lebenserfahrung hat und unterstützend zur Seite steht?
Also auf den unterschiedlichen Plattformen ein Profil erstellt und in den Profiltext geschrieben, dass eine wesentlich ältere Person gesucht wird.
Nun, wenn sich ein neuer User unter 30 Jahre irgendwo anmeldet, wird er mit Sicherheit gleich am ersten Tag mit Nachrichten bombardiert. Ich hatte mit einem neuen User, der 19 Jahre alt war, Kontakt und er meinte, dass er 3 Stunden nach seiner Anmeldung fast 100 Nachrichten bekommen hätte. Damit war er überfordert und löschte sein Profil wieder. Doch 2 Tage später erstellte er sich ein neues Profil. Dann hat er sich eine Woche nicht mehr blicken lassen und alle bis dahin aufgelaufenen Nachrichten ungelesen gelöscht. Er konnte schließlich nicht über 150 Nachrichten lesen und beantworten.
Diese veränderte Suche nach einem Top ist mittlerweile bei Usern unter 30 Jahre weit verbreitet, zwischen 30 und 40 Jahre wird es weniger und ab 40 Jahre findet eine entsprechende Suche gar nicht mehr statt.

Es wiederholt sich

Im Volksmund heißt es: Man trifft sich im Leben immer zwei mal. Es heißt aber auch: Die Geschichte wiederholt sich.
Nun, was BDSM betrifft, scheint sich die Geschichte nun zu wiederholen. Es scheint so, als hätte irgendwer das BDSM-Rad um 40 Jahre zurück gedreht. Die BDSM-Zeit von damals kommt wieder, aber mit den Menschen von Heute.
Ich persönlich finde diese Entwicklung gut. Wenn sich BDSM in der Allgemeinheit nicht mehr nur in Gewalt, Zwang und Unfreiwilligkeit manifestiert, ist die Chance groß, dass BDSM in der Allgemeinheit doch noch salonfähig wird.

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