Warum BDSM?

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In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge ca. 11 Millionen Bürger, die mehr oder weniger regelmäßig BDSM praktizieren. Auch in Deinem Bekannten- und Freundeskreis ist mit Sicherheit wenigstens Einer dabei. Wenn man bedenkt, dass einer von 10 BDSM praktiziert, sollte man meinen, dass BDSM täglich zu spüren sein müsste.

Ein bisschen Geschichte

Keine Sorge, ich werde nicht bei Adam und Eva anfangen, sondern im Jahr 1871.
Mit In Kraft treten des Strafgesetzbuches für den norddeutschen Bund am 1. Januar 1871 trat auch der §175 in Kraft. Im Volksmund wird er auch als Schwulenparagraph bezeichnet.

Der §175 stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Bis 1935 wurden solche Handlungen mit Gefängnis zwischen 6 und 12 Monaten bestraft.
Ab 1935 wurde der §175 deutlich ausgeweitet, so dass auch ähnliche Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechtes, wie z. B. der Beischlaf, unter Strafe gestellt wurde. Die Strafe betrug bis 1949 1 bis 10 Jahre Zuchthaus.
Die Bundesrepublik Deutschland hielt bis 1969 am §175 unverändert fest, so dass bis 1969 Strafen zwischen 6 Monate Gefängnis und bis zu 10 Jahren Zuchthaus verhängt werden konnten. Da es in der BRD keine Zuchthäuser mehr gab, wurde die Zuchthausstrafe in eine Gefängnisstrafe gewandelt. Somit konnten Wiederholungstäter bis zu 10 Jahre ins Gefängnis kommen.
Ab 1969 wurde der §175 insoweit abgeändert, als dass sexuelle Handlungen nur strafbar waren, wenn sie mit Jugendlichen unter 18 Jahre stattfanden. Das Strafmaß blieb dabei unverändert.
In der Bundesrepublik Deutschland wurde der §175 nach der Wiedervereinigung am 10. Juni 1994 abgeschafft. Ab diesem Tag waren sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts nicht mehr strafbar.

Was kaum einer über den §175 weiß …
Von 1871 bis 1935 stellte der §175 auch sexuelle Handlungen mit Tieren unter Strafe. Die Strafe für diese Handlung betrug zwischen 1 und 10 Jahren Gefängnis. Damit wurden sexuelle Handlungen zwischen einem Mann und einem Tier höher bestraft, als Sex zwischen zwei Männern.

In der Zeit vom 1. Januar 1871 bis 10. Juni 1994 wurden insgesamt ca. 140.000 Männer auf Grund des §175 verurteilt.

In Ostdeutschland wurde die ursprüngliche Fassung des §175 vom 1. Januar 1871 in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Von Ende 1950 bis 1969 wurde jedoch niemand für ein Vergehen nach §175 bestraft.
1968 wurde das Strafgesetzbuch der DDR reformiert und seit dem wurde der §175 zum §151.
Sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts wurden seit dem nicht mehr bestraft, sofern es sich um erwachsene Personen handelt. Sexuelle Handlungen mit Jugendlichen unter 18 Jahren standen weiterhin unter Strafe. Des Weiteren wurde kein Unterschied zwischen erwachsenen Frauen und Männern gemacht.

Am 14. Dezember 1988 wurde der §151 ersatzlos gestrichen.
Erst 6 Jahre später, am 10. Juni 1994 wurde auch in Westdeutschland der §175 gestrichen.
Ab diesem Zeitpunkt waren sexuelle Handlungen zwischen Personen des selben Geschlechts bundesweit nicht mehr verboten.

Am 17. Mai 1990 wurde der Schlüssel im ICD 10 für Homosexualität gestrichen. Bis dahin galt Homosexualität als psychische Störung.

BDSM heute

Was hat der §175 nun mit BDSM zu tun?
Im Grunde nicht viel. BDSM fand und findet in der Regel unter geschlechtlich unterschiedlichen Personen statt. Seit der Streichung des §175 bzw. §151 findet BDSM zunehmend mehr auch unter gleichgeschlechtlichen Personen statt.
Allerdings muss man gewisse Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland machen.
Obwohl der §151 in Ostdeutschland galt, aber nur sehr selten jemand bestraft wurde, nahm die Freizügigkeit in Ostdeutschland eigene Wege. Während in Ostdeutschland an fast jedem Badesee auch ein FKK-Bereich war, suchte man solche Bereiche in Westdeutschland vergeblich. Westdeutschland rühmte sich mit einem einzigen FKK-Strand auf Sylt. Diesen konnte bzw. durfte jedoch nicht jeder betreten.
Übte man in Westdeutschland FKK aus, so durfte man das nur, wenn garantiert ist, dass keine Kinder unter 18 Jahren dabei sind.
Würden sie dabei sein, würde das dem sogenannten Kindeswohl widersprechen und man musste damit rechnen, im Wiederholungsfall seine Kinder zu verlieren. So wurde der westdeutsche Bürger zur Prüderei erzogen, während der Bürger in Ostdeutschland die Freizügigkeit genießen konnte.
Auch in Ostdeutschland wurde es nicht gerne gesehen, wenn kleine Kinder und Erwachsene gemeinsam nackt waren. Sofern dies in einem FKK-Bereich stattfand, wurde es auch nicht bestraft und in vielen anderen Fällen wurde es geduldet. Sexuelle Handlungen mit Kindern allerdings war auch in der ehemaligen DDR strafbar.

Auf Grund der möglichen Freizügigkeit in Ostdeutschland vollzog sich dort auch immer mehr ein Hang zum BDSM. So spielte 1990 in Ostdeutschland BDSM eine größere Rolle, als im Westen.
Die „Wessis“ Kannten BDSM in der Hauptsache aus Filmen und Zeitschriften. Kaum einer praktizierte BDSM real. Dies sollte sich ab 1990 jedoch drastisch ändern. Es dauerte nicht einmal 10 Jahre, bis sich „Ossis“ und „Wessis“ in Sachen BDSM anglichen.
Dennoch gab es einen großen Unterschied zwischen Hetero- und Homosexuellen BDSM.

Homo oder Hetero?

Erinnern wir uns an den §175. Dort hieß es, dass sexuelle Handlungen zwischen Männern strafbar ist. Entsprechende Handlungen zwischen Frauen waren es nicht und schon gar nicht der Sex zwischen Mann und Frau.
Dies gab dem weiblichen Geschlecht in Westdeutschland die Möglichkeit, ihre sexuellen Wünsche mit einem Mann auch auf bizarre Art auszuleben. BDSM war und ist zwischen Frauen, sowie zwischen Mann und Frau immer existent gewesen. Homosexuelle Männer holten sich ihre sadistische oder masochistische Befriedigung beim weiblichen Geschlecht. BDSM war aus dem Grund bei homosexuellen Männern ein Randthema. Dieses Randthema sollte erst Mitte der 90er Jahre mehr ins Zentrum rücken.

Ein kurzer Rückblick

1980 kam ich mit zarten 15 Jahren das erste Mal mit homosexuellen Sex und BDSM in Berührung. Um irgendwelche gesetzlichen Konsequenzen habe ich mir keine Gedanken gemacht. Wenn ich heute darüber nachdenke, dass homosexueller Sex erst straffrei wurde, als ich 30 Jahre alt wurde, könnte ich heute dazu sagen, dass ich eigentlich Glück gehabt habe. Ich habe BDSM damals nicht nur im stillen Kämmerlein praktiziert, sondern auch in der Öffentlichkeit. Im Nachhinein waren diese 15 Jahre die schönste Zeit, die ich erlebt habe.
Homosexueller Sex und im Besonderen BDSM baute damals mit viel Zeit auf gegenseitiges Vertrauen auf. Warum auch nicht? Wir hatten ja damals alle Zeit der Welt. Niemand drängte uns, niemand sprach hinter unserem Rücken über uns. Eigentlich kann ich sagen, dass die Zeit damals viel toleranter war, als heute.
Das Aussehen des Anderen war unwichtig, wie groß der Schwanz des Anderen ist, war irrelevant. Was zählte, war der gemeinsame Spaß.

Wenn ich heute den Leuten erzähle, wie es früher war, dass wir wegen des §175 vorsichtig sein mussten, klingt das in den Augen Vieler unter 40 völlig unrealistisch und wie eine Phantasie. Kaum einer, der heute unter 35 Jahre alt ist, kann sich auch nur im Ansatz vorstellen, wie es in den 80er Jahren gewesen sein könnte.
Die jungen Homosexuellen von heute können ihre Gelüste freizügig und ungeniert ausleben. Das merkt man auch daran, wie sie über Homosexualität und BDSM reden; nämlich ganz anders als die, Jenigen, die die 40 Jahre überschritten haben.
Während die Leute unter 40 Jahre ihre Lust laut verkünden, bleiben die Leute über 50 Jahre dabei eher ruhig und leise.

Was mich betrifft, habe ich mich immer daran gehalten, was mir in Sachen BDSM Spaß macht. Wahrscheinlich waren auch deshalb die 80er Jahre für mich einfach nur geil.

BDSM als Flucht

Flucht? Ja, als Flucht vom Alltag, Flucht von Problemen.
Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, dass BDSM gesellschaftsfähig geworden ist.
Es gibt mehr BDSMler als Arbeitslose, mehr als Schwerbehinderte, mehr als Bürgergeldempfänger.
Und etwa jeder dritte Arbeitnehmer oder Arbeitgeber hat in seiner Freizeit mehr oder weniger mit BDSM zu tun. Wenn das keine Gründe sind, dass BDSM gesellschaftsfähig ist, was dann?
Das einzige Problem ist doch nur, dass BDSM in den Köpfen der Bürger einen negativen Touch besitzt. Deshalb ist auch kaum jemand bereit, über BDSM zu reden, sondern lebt seine BDSM-Bedürfnisse im stillen Kämmerlein aus.
Viele BDSMler, egal, ob Mann oder Frau, nutzen zum Ausleben ihrer Bedürfnisse lieber einen Dienstleister, statt den eigenen Partner. Dies liegt daran, dass in einer Partnerschaft fast immer höchstens einer von Beiden BDSM mag, während der Andere diese Praktiken verabscheut.
BDSMler nutzen entsprechende Praktiken in der Regel zum Stressabbau. Sie nutzen die Gelegenheit, sich stundenweise fallen lassen und abschalten zu können. Nach dieser Zeit sind sie meistens wieder mit Kraft für den Alltag aufgeladen und sind bereit, sich dem Alltag zu stellen.

Doch es gibt noch einen weiteren Grund, BDSM zu praktizieren. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich klar stellen, dass es noch weitere Gründe gibt, die ich aber nicht weiter ausführen möchte. Einer dieser Gründe ist das ganz normale Interesse bzw. die Neugier. Darum soll es im Folgenden nicht gehen.

Es geht nun um Kindheitserinnerungen und die daraus entstandenen psychischen Probleme und Verhaltensweisen.
Sehr viele Männer und Frauen haben in ihrer Kindheit vielleicht negative, aber auch positive Erfahrungen bezüglich ihrer Erziehung gemacht.
Der Eine ist als Kind viel geschlagen worden und sieht nun im BDSM die Möglichkeit, sich als Sado an der Menschheit zu rächen.
Der Andere wiederum ist als Kind geschlagen worden und wurde unglücklich, als das aufhörte und sucht nun im BDSM die Fortsetzung seiner Kindheit.
Zwei mal der gleiche Auslöser und völlig andere Auswirkungen?
Ja, das ist gar nicht so selten.
Viele Personen, die im Kindesalter eine mehr oder weniger traumatische Erfahrung gemacht haben, waren vielleicht jahrelang auf der Suche nach einer Lösung, das traumatische Erlebnis verarbeiten zu können. Sie haben Ärzte und Therapeuten besucht, aber keine Hilfe erhalten, zumindest keine dauerhafte Hilfe. Viele dieser Personen sehen im BDSM eine Parallele zu ihrer Kindheit und sind der Überzeugung, dass ihnen durch BDSM geholfen werden kann. Gut, bei dem Einen oder Anderen mag das sein, aber das trifft wohl nur auf einen von 1.000 zu.
Die übrigen 999 von 1.000 begeben sich dabei in eine andere Gefahr; Sucht.
Eine BDSM-Sitzung hat ihnen geholfen, wenigstens für ein paar Tage abschalten zu können. Doch dann kommen die Probleme wieder und sie suchen erneut eine BDSM-Sitzung. Im Laufe der Zeit muss sie öfter und härter stattfinden. Das kann soweit gehen, dass sie den ganzen Tag an nichts anderes denken, als an BDSM. Ihre ganze geistige Kraft geht dafür drauf, die nächste Sitzung zu erleben. Dafür lassen sie unter Umständen alles andere liegen. BDSM kontrolliert unbemerkt ihr ganzes Leben. Und an dieser Stelle wird es gefährlich, denn sie beabsichtigen, ein Problem mit BDSM zu lösen, geraten dabei aber immer tiefer in ein neues Problem. Wenn BDSM den Tagesablauf kontrolliert, liegt definitiv eine psychische Störung vor (Siehe ICD 10, Sadomasochismus).
Mit sowas muss man sehr vorsichtig umgehen. Ich rate solchen Menschen eindringlichst dazu, sich fachliche Hilfe zu nehmen. Sollte ein Psychotherapeut, ein Psychiater oder Psychologe nicht den gewünschten Effekt erzielen, rate ich zu einer 4- bis 6-wöchigen stationären Unterbringung.

Was ist eigentlich BDSM?

Schlüsseln wir BDSM mal auf:

BD = Bondage, Fesselungen, in der Hauptsache Bondage
DS = Dominanz und Submission
SM = Sadomasochismus, Schmerzen geben und/oder empfangen

Das sind drei Komponenten, unter denen BDSM zusammengefasst wird. BDSM wird also praktiziert, wenn mind. einer der drei Dinge praktiziert wird.
Der wohl häufigste Einstieg in BDSM ist der Bereich der Fesselung. Mit Fesselungen macht man häufig als Kind beim Spielen mit Freunden erste Erfahrungen. Sehr beliebt ist das Indianerspiel.
Ist man aus dem Kindesalter raus, werden weitere Erfahrungen mit Freunden oder dem Lebensgefährten gemacht. Es kann beim Anlegen von Handschellen beginnen, kann über eine Fixierung ans Bett weitergehen und endet häufig mit einer Fesselung bis zur starken Bewegungseinschränkung. Irgendwo auf diesem Weg ist ein Abzweig Richtung Bondage, der japanischen Fesselkunst möglich. Diese Form des BDSM hat nichts mit Dominanz und Unterwürfigkeit zu tun und auch nichts mit dem Empfang oder der Zufuhr von Schmerz.
Sehr viele BDSMler bleiben bei dieser Praxis.

Die unauffälligste Art, BDSM zu praktizieren, ist der Bereich des auslebens von Dominanz und Submission (Unterwürfigkeit). Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass hierbei die psychischen Gegebenheiten eine große Rolle spielen. Ein Partner ist eher der Typ, der den Ton angibt, während der Andere eher der Typ ist, zu tun, was man ihm sagt. Diese Spielart des BDSM lässt sich absolut problemlos in aller Öffentlichkeit praktizieren, denn Außenstehende bekommen davon so gut wie nichts mit.
Der submissive Partner ist dem dominanten Partner hörig.

Die „Königsdisziplin“ ist der Sadomasochismus. Diese Praktik kann nur funktionieren, wenn sich beide Partner einig sind. Wer empfängt Schmerzen, wer teilt sie aus? Beim SM steht der Schmerz körperlicher und psychischer Art im Vordergrund. Für die Schmerzzufuhr werden in der Regel die unterschiedlichsten Gegenstände verwendet. Neben der eigenen Hand, kommen bei Bedarf auch Küchenutensilien oder spezielle Toys wie Peitschen zum Einsatz.
Die Art der Toys ist so vielfältig, dass der Phantasie dabei keine Grenzen gesteckt werden.

Wie bereits erwähnt, genügt es, eine der drei Gruppen Bondage, Dominanz und Submission oder Sadomasochismus auszuüben, um BDSMler zu sein. Sehr viele BDSMler vereinen allerdings mehrere Gruppen in sich und nur relativ Wenige mögen alle drei Gruppen.
So kommt es vor, dass ein BDSMler BD und SM mag, aber mit DS nichts anfangen kann. Aber auch BD und DS oder SM und DS sind weit verbreitet. Der Anteil der BDSMler, die vollumfänglich BDSM mögen, ist relativ klein.

Auch, wenn einige Dinge im BDSM harmlos bzw. schmerzfrei sind, ist das keine Spielart für Kinder und Jugendliche, zumindest nicht in Verbindung mit Erwachsenen. Das bekannte Indianerspiel oder Räuber und Polizist sind für Kinder normale Spiele, die der Entwicklung dienen. Wenn es dann aber um Doktorspiele geht, bei dem sich der Patient vollständig zu entkleiden hat, wird es fragwürdig.

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